Eine kurze Einführung in die deutsche Fechtschule

Wenn man in der modernen HEMA-Szene mit dem Langschwert ficht, kommt man nicht umhin, von Namen wie “Liechtenauer” und “Meyer” zu erfahren. Auch wenn man ein anderes Fechtsystem lernt, lohnt es sich, sich einmal mit der deutschen Schule auseinanderzusetzen.

Geschichte

Es gibt keine einzige “deutsche Schule” des Langschwertfechtens. Es gibt stattdessen mehrere deutschsprachige Quellen, die das Fechten mit dem Langschwert thematisieren. Wenn man von der deutschen Schule spricht, nutzt man diese Bezeichnung normalerweise als Sammelbegriff für all die Fechtquellen, die sich auf einen Fechtmeister namens “Johannes Liechtenauer” berufen. Liechtenauer soll ein Fechtmeister des 15. Jahrhunderts gewesen sein. Auch wenn keine Originalquellen von ihm überliefert sind, wurde Liechtenauer von vielen späteren Meistern als “Hochmeister” oder “Großmeister” der Kunst bezeichnet, und ein langes Gedicht, welches “Zettel” genannt wird, wird von diesen Meistern im Allgemeinen ihm zugeschrieben.

Das Liechtenauersche System

Um die liechtenauersche Schule zu verstehen, sind die sog. “fünf Wörter” am wichtigsten:

  • Vor
  • Nach
  • Indes
  • Stark
  • Schwach

Eine einfache Interpretation dieser Begriffe:

  • Vor: Wenn man die Initiative hat oder als Erster agiert
  • Nach: Wenn man reagiert
  • Indes: Wenn man während der Aktion des Gegners agiert
  • Stark: Wenn man die stärkere Position in der Bindung hat (weil man gerade die gegnerische Klinge wegdrückt oder man die überlegenere Position in der Bindung hat)
  • Schwach: Das Gegenteil von Stark

Auch wichtige Begriffe sind die sog. “drei Wunder” – drei Arten und Weisen, um jemanden mit einem Schwert zu verletzen:

  • Stich: mit der Spitze
  • Hieb: mit einem Schlag mit der Schneide
  • Schnitt: indem man die Schneide auf den Gegner legt und dann drückt oder zieht

Ganz allgemein gibt es folgende Prinzipien:

  1. Ergreife die Initiative (das Vor), wenn du das kannst.
  2. Wenn du im Nach bist, akzeptiere das und arbeite darauf hin, dass du wieder ins Vor kommst.
  3. Unter Umständen (oder vielleicht im Idealfall) kannst du aus dem Nach ins Vor kommen, oder im Vor bleiben, während der Gegner agiert – das ist eine Aktion Indes.
  4. Wenn eine Bindung entsteht, handelt man je nachdem, ob man Stark oder Schwach in der Bindung ist, um ins Vor zu kommen bzw. im Vor zu bleiben. Man nutzt Fühlen, um festzustellen, ob man Stark oder Schwach ist.
  5. Stich, Hieb oder Schnitt ergibt sich aus der Situation und ist meist entfernungsabhängig.

Abgrenzung zu anderen deutschsprachigen Quellen

Auch wenn dies das Grundgerüst der deutschen Schule ist, unterscheiden sich die Vorgehensweisen bei der Umsetzung dieser Prinzipien zwischen den Quellen stark. Joachim Meyer (Fechtmeister aus dem 16. Jh) zum Beispiel benutzt viele Begriffe aus den früheren Quellen, aber seine Vorgehensweise ist etwas anders und sein “Reizer, Nehmer, Treffer”-Prinzip gibt es nicht in den früheren Quellen.

  • Reizer: Aktion, um den Gegner aus seiner Haltung zu bringen
  • Nehmer: Aktion, um den Weg zum Gegner freizumachen bzw. die Klinge des Gegners zu kontrollieren
  • Treffer: Aktion, die tatsächlich trifft

Bekannte Techniken der deutschen Schule

Es gibt einige Techniken aus der deutschen Schule, die die moderne HEMA-Szene geprägt haben.

Der Autor des deutschsprachigen Manuskripts MS 3227a schrieb im 15. Jh:

Zudem sollte man bedenken, dass es deutlich schwieriger ist, übers Fechten zu sprechen, zu schreiben, oder es zu erläutern, als es vorzuführen.

Zum Glück haben wir Video im 21. Jh. Daher ein paar Links:

Abschluss

Es gibt viele andere Begrifflichkeiten in deutschen Fechtstillen, aber mit diesen hier kann man den deutschen Fechtern wenigstens halbwegs folgen, wenn sie über ihr Fechten sprechen ☺

4 responses to “Eine kurze Einführung in die deutsche Fechtschule”

  1. […] Siehe den separaten Beitrag hier. […]

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  2. […] attacked me and I counterattacked and we doubled? Master Liechtenauer says parries are for chumps, so I don’t do them. Maybe if I do my Meisterhau faster or harder […]

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  3. […] Treffer auf unterschiedliche Weise verwunden (vgl. „die drei Wunder“), wende ich für unterschiedliche Trefferarten unterschiedliche Standards […]

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  4. […] beschreibt keine „Sonderangriffe“ wie z.B. die Meisterhäue der Liechtenauer-Tradition. Warum? Kannte er überhaupt diese […]

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