Kurzer Überblick
Fiore beschreibt vier Arten von Angriffen:
- Fendente (Mehrzahl Fendenti): Hieb von oben
- Sottano (Mehrzahl Sottani): Hieb von unten
- Mezzano (Mehrzahl Mezzani): Seitlicher Hiebe
- Punta (Mehrzahl Punte): Stich
Darüber hinaus kann man beschreiben, woher der Angriff kommt:
- Mandritto: von der dominanten Seite (für Rechtshänder von der rechten Seite)
- Riverso: von der nicht dominanten Seite (für Rechtshänder von der linken Seite)
Man darf einfach „Mandritto“ oder „Riverso“ sagen, wenn die Angriffsart aus dem Kontext hervorgeht oder irrelevant ist. In einigen Quellen werden „Mandritto“ und „Riverso“ weiter zu „Dritto“ und „Verso“ abgekürzt.
Man darf diese Begriffe zusammensetzen. Daraus ergeben sich das, was Fiore „die sieben Schläge des Schwertes“ nennt. Aus der Perspektive eines rechtshändigen Menschen sind das:
- Mandritto fendente: Hieb von oben rechts
- Riverso fendente: Hieb von oben links
- Mandritto sottano: Hieb von unten rechts
- Riverso sottano: Hieb von unten links
- Mandritto mezzano: Seitlicher Hieb von rechts
- Riveros mezzano: Seitlicher Hieb von links
- Punta: der Stich
Man kann wahlweise auch spezifizieren, mit welcher Schneide der Angriff ausgeführt wird:
- Ein Falso (Mehrzahl Falsi) ist ein Hieb mit der falschen Schneide
- Wenn die zu benutzende Schneide nicht spezifiziert ist und nicht aus dem Kontext hervorgeht, geht man davon aus, dass der Hieb mit der wahren Schneide ausgeführt wird
- Ein Mandritto Falso Sottano ist also zum Beispiel ein Hieb von unten rechts mit der falschen Schneide
Hier ein paar Bilder aus einem Werk von Achille Marozzo (Mitte des 16. Jh.), um den Unterschied zwischen wahrer und falscher Schneide zu veranschaulichen:
Details und offene Fragen
Die Angriffe werden in zwei von den vier überlieferten Manuskripten von Fiore näher beschrieben. Da gibt uns Fiore weitere Hinweise zu den „sieben Schlägen des Schwertes“ (eine Übersetzung der Beschreibung der Angriffe aus dem Getty-MS findet man hier).
- über Fententi
- Im Getty-MS schreibt Fiore, dass die Fendenti die Zähne des Gegners spalten und sicherheitshalber einen Verlauf bis zum Knie auf der anderen Seite nehmen
- Diese Beschreibung ist wahrscheinlich eine Eselsbrücke auf Italienisch: fendere heißt „spalten“ und denti heißt „Zähne“; fendenti klingt also ein bisschen wie „die Zähne spaltend“
- Im Pisani-Dossi-MS wird nur erwähnt, dass Fendenti die Zähne des Gegners spalten
- Im Getty-MS wird erwähnt, dass Fendenti gut darin sind, die Fechtstellung des Gegners zu „brechen“
- Im Getty- sowie im Pisani-Dossi-MS schreibt Fiore, dass die Fendenti schnell ausgeführt werden und in einer Fechtstellung enden
- Im Getty-MS schreibt Fiore, dass die Fendenti die Zähne des Gegners spalten und sicherheitshalber einen Verlauf bis zum Knie auf der anderen Seite nehmen
- über Sottani
- Im Getty-MS schreibt Fiore, dass Sottani vom Knie bis zur Mitte der Stirn ausgeführt werden, dann auf demselben Weg mit einem Hieb von oben zurückkehren oder in der Posta Longa bleiben
- Im Pisani-Dossi-MS schreibt Fiore, dass Sottani gerne auf die Hände zielen
- über Mezzani
- Im Getty-MS schreibt Fiore, dass Mezzani so heißen, weil sie zwischen Fendenti und Sottani liegen
- Im Getty-MS schreibt Fiore, dass Mandritti Mezzani mit der wahren Schneide und Riversi Mezzani mit der falschen Schneide ausgeführt werden
- Im Getty- sowie im Pisani-Dossi-MS schreibt Fiore, dass Mezzani vom Knie aufwärts verwunden können
- Im Pisani-Dossi-MS schreibt Fiore, dass Mezzani Stiche zur Seite wegschlagen und Hiebe verdoppeln können
- über Punte
- Im Getty-MS schreibt Fiore, dass es fünf Stiche gibt:
- oben rechts
- oben links
- unten rechts
- unten links
- mittig
- Im Getty-MS schreibt Fiore, dass es fünf Stiche gibt:
- über Tondi
- An einer einzigen Stelle im Getty-Manuskript benutzt Fiore den Begriff Tondo für einen Hieb
- Fiore definiert Tondo nie
- In späteren italienischen Fechtquellen ist ein Tondo ein horizontaler Hieb
- An einer einzigen Stelle im Getty-Manuskript benutzt Fiore den Begriff Tondo für einen Hieb
Die Angriffe haben sprechende Namen auf Italienisch, die uns Einblick in die Denkweise des Verfassers gewähren:
- Fendente heißt in etwa „Spaltender“
- Fiores Beschreibung ist wahrscheinlich eine Eselsbrücke auf Italienisch: fendere heißt „spalten“ und dente heißt „Zahn“; fendente klingt also ein bisschen wie „den Zahn spaltend“
- Sottano heißt in etwa „Unterer“
- Mezzano heißt in etwa „Mittlerer“
- Tondo heißt in etwa „Runder“
- Punta heißt wörtlich „Spitze“
Diese Beobachtungen führen zu ein paar unbeantworteten Fragen:
- Fendenti
- Die Linie von Zähnen bis zum Knie auf der anderen Seite bildet einen ziemlich steilen Winkel; ist das wichtig für die Ausführung des Fendente, oder ist das lediglich eine Eselsbrücke?
- In späteren italienischen Fechtquellen ist der Fendente ein senkrechter Hieb von oben, was sich ein wenig mit dem steilen Winkel von Fiore deckt
- Die Linie von Zähnen bis zum Knie auf der anderen Seite bildet einen ziemlich steilen Winkel; ist das wichtig für die Ausführung des Fendente, oder ist das lediglich eine Eselsbrücke?
- Sottani
- Ähnlich wie bei den Fendenti ist der beschriebene Verlauf (vom Knie bis zur Stirnmitte) ein ziemlich steiler Winkel – ist das eine Vorgabe oder, eine Empfehlung oder etwas Anderes?
- Ist der Hinweis, dass die Sottani entweder mit einem Hieb von oben zurückkehren oder in der Posta Longa bleiben eine Vorgabe, eine Empfehlung oder etwas Anderes?
- Ist das ein Indiz, dass Sottani (hauptsächlich) mit der falschen Schneide ausgeführt werden? (weil ein Hieb mit der falschen Schneide durch die abgebildete Position mit Händen unter Spitze geht)
- Mezzani
- Sind Mezzani immer horizontal, oder sind alle Hiebe Mezzani, die zwischen Fendenti und Sottani liegen?
- Wenn Mezzani immer horizontal sind, wie unterscheidet sich der Tondo, den Fiore einmal erwähnt, von einem Mezzano?
- Ist der Hinweis, dass Mandritti Mezzani mit der wahren Schneide und Riversi Mezzani mit der falschen Schneide ausgeführt werden, eine Vorgabe, eine Empfehlung oder etwas Anderes?
- Was bedeutet es, einen Hieb zu „verdoppeln“?
- Fiore erläutert das nirgendwo
- Sind Mezzani immer horizontal, oder sind alle Hiebe Mezzani, die zwischen Fendenti und Sottani liegen?
- Punte
- Fiore schreibt von den „sieben Schläge des Schwertes“, schreibt aber auch, dass es fünf Stiche gibt; gruppiert er die Stiche, weil er die Unterscheidung zwischen Hiebarten für wichtiger hält als die zwischen Sticharten, oder dachte Fiore einfach, dass „die elf Schläge des Schwertes“ weniger schön klingt?
- Allgemein
- Fiore stellt zwar die unterschiedlichen Angriffsarten vor, unterscheidet aber kaum zwischen Angriffsarten in den Techniken – warum teilt er die Angriffe so auf?
- Im Gegensatz zu späteren italienischen Fechtquellen beschreibt Fiore keine unterschiedlichen Verteidigungen gegen unterschiedliche Hiebarten; er unterscheidet Verteidigungen nach Hieb vs. Stich und hoch vs. niedrig, wenn überhaupt.
- Fiore beschreibt keine „Sonderangriffe“ wie z.B. die Meisterhäue der Liechtenauer-Tradition. Warum? Kannte er überhaupt diese Hiebvariationen?
- Fiore stellt zwar die unterschiedlichen Angriffsarten vor, unterscheidet aber kaum zwischen Angriffsarten in den Techniken – warum teilt er die Angriffe so auf?
Das Endergebnis ist eine Systematik für Angriffe, die einerseits in der Lage ist, alle Angriffe zu beschreiben und viele Hinweise enthält, andererseits viele Fragen offenen lässt.
Ich glaube nicht, dass diese Fragen eindeutig beantwortet werden können. Eine vollständige Interpretation von Fiore wird Antworten haben, aber diese Antworten werden zwangsläufig etwas spekulativ sein.
Meine Interpretation
- Fendenti sind steile Hiebe von oben und umfassen auch senkrechte Hiebe von oben; der Verlauf, den Fiore beschreibt, ist vielleicht das Ideal, aber nicht verpflichtend
- Diese Interpretation deckt sich mit Fiores Beschreibung des Fendente für den Dolch; in dem Fall scheint der Fendente tatsächlich senkrecht zu sein (oder wenigsten sehr steil von oben)
- Sottani sind steile Hiebe von unten und umfassen auch senkrechte Hiebe von unten; der Verlauf, den Fiore beschreibt, ist vielleicht das Ideal, aber nicht verpflichtend
- Mezzani sind alle Hiebe zwischen Fendenti und Sottani und grenzen sich von diesen zwei anderen Kategorien ab, indem sie Übergangsmöglichkeiten bieten:
- ein Fendente oder Sottano kann leicht ein Mezzano werden
- ein Mezzano kann leicht ein Fendente oder ein Sottano werden
- ein Fendente kann aber nicht leicht ein Sottano werden und umgekehrt; da ist der Übergang merkbar länger
- Wobei ein Fendente sehr leicht auf einen Sottano folgen kann (und umgekehrt), wie Fiore beschreibt
- Diese Interpretation der Mezzani deckt sich mit Fiores Hinweis, dass Mezzani Hiebe gut „verdoppeln“ können; flachere Hiebe lassen sich gut mit anderen Hieben verketten.
- Diese Aufteilung der Hiebe in „steil von oben“, „steil von unten“ und „mittig“ spiegelt die Abgrenzung der Verteidigungsmöglichkeiten wider:
- Flache Hiebe kann man auf ähnlicher Weise abwehren, egal ob sie leicht von unten oder leicht von oben kommen
- Steile Hiebe von oben bieten andere Möglichkeiten als flachere Hiebe (eine Deckung mit einer hohen Frontale oder Finestra bietet sich z.B. besser an als gegen andere Hiebe)
- Steile Hiebe von unten kann man oft nur schlecht parieren; da ist es oft besser auszuweichen
- Fiores Hinweis, mit welcher Schneide die Mezzani auszuführen sind, ist keine verpflichtende Vorgabe sondern ein allgemeiner Ratschlag für Mezzani in weiter Mensur.
- Tondi sind eine Untermenge von Mezzani, die wirklich horizontal sind. Dass Fiore sie nur an einer Stelle erwähnt, deutet darauf hin, dass die Unterscheidung nicht wichtig ist.
- Es heißt „die sieben Schläge des Schwertes“ nur weil Fiore die Nummer sieben symbolisch cooler fand als elf (wenn man die fünf Stiche mitzählt) oder dreizehn (wenn man Tondi mitzählt).
- Auf der einen Seite sehe ich keine Beweise für „Sonderangriffe“ wie die Meisterhäue in Fiores Texten. Auf der anderen Seite erläutert Fiore kaum darüber, wie es zu den Kreuzungen der Schwerter kommt, die er abbildet, und aus denen die Techniken entstehen. Ich vermute auch, dass jeder, der 40 Jahre mit einem Langschwert rumspielt, irgendwann von alleine auf die Idee von einem Zwerchhau kommen würde, sodass ich nicht glaube, dass Fiore die Idee total fremd finden würde. Es wäre allerdings reine Spekulation die Meisterhäue in Fiore einzulesen.
Ich konzipiere die Hiebe also so:

Vgl. mit Fiores Abbildungen der vier Angriffsarten aus dem Getty-MS:

Vgl. mit Fiores Abbildungen der vier Angriffsarten aus dem Pisani-Dossi-MS (unten auf der ersten Seite, oben auf der zweiten):







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