Hirnverletzungen

Zu lang, nicht gelesen:

Deine Schläge sollten so leicht wie möglich sein, um deine Trainingsziele trotzdem zu erreichen.

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Guter Rat für einen Schwertkampf, schlechter Rat für die Mittrainierenden

Der italienische Fechtmeister des 15. Jahrhunderts Philippo di Vadi rät uns dazu, beim Fechten von allen Seiten auf den Kopf zu hämmern, und ist somit nicht der einzige historische Meister, der den Kopf für ein gutes Ziel hält. Sein Rat ist schön und gut für einen Ernstkampf mit scharfen Schwertern, wirft aber Probleme für unsere moderne Praxis des historischen Fechtens auf.

Non vo’ che in tutto sia puro riverso
Né sia fendente, ma tra l’altro e l’uno
Sia tra quel comuno,
Martelando la testa in ogni lato.

Ich will nicht, dass du nur Rückhandschläge machst, oder nur Hiebe von oben
Wechsle stattdessen zwischen dem einen und dem anderen
und zwischen allen gängigen Schlägen
und hämmere den Kopf von allen Seiten

– Philippo di Vadi, ca. 1480er Jahre

Es gibt keine gesunde Art und Weise, auf den Kopf geschlagen zu werden

Immer mehr Forschungsergebnisse deuten darauf hin, dass alle Schläge auf den Kopf gefährlich sind.

Einige wichtige Punkte zusammengefasst:

  • Es gibt keine “sicheren” Schläge zum Kopf
    • Alles, was über ein beiläufiges Klopfen hinaus geht, kann gefährlich sein
  • Kopfschutz schützt hauptsächlich vor oberflächlichen Verletzungen, nicht vor Hirnverletzungen
    • Ein Helm kann ein Hirntrauma nicht verhindern, er kann bestenfalls die Schwere des Traumas abmildern.
    • Zusätzliche Polsterung kann ein Hirntrauma nicht verhindern, sondern bestenfalls die Schwere des Traumas abmildern.
    • Gehirnerschütterungen und andere Hirntraumata werden dadurch verursacht, dass das Gehirn gegen den Schädel prallt. Wenn ein Schlag dein Gehirn gegen den Schädel prallen lässt, kannst du trotzdem eine Hirnverletzung erleiden, egal wie viel Stahl oder Polsterung um deinen Kopf gewickelt ist.
  • Die Symptome einer Gehirnerschütterung treten nicht immer sofort auf
    • Wenn du einen harten Schlag auf den Kopf bekommst, solltest du das Training am besten sofort abbrechen.
  • Wer eine Gehirnerschütterung erleidet, ist von diesem Moment an anfälliger für Gehirnerschütterungen
  • Auch Schläge, die zu keiner Gehirnerschütterung führen, können gefährlich sein
    • Wiederholte leichte Schädel-Hirn-Traumata können zu Langzeitschäden führen
    • Normales Sporttraining, das mit wiederholten Schlägen zum Kopf verbunden ist, kann zu Schädel-Hirn-Traumata führen
    • Chronisch-traumatische Enzephalopathie ist eine neurale Dysfunktion, die nach häufigen Schlägen oder Stößen auf den Kopf auftritt, und die erst nach dem Tod abschließend diagnostiziert werden kann

Ausführlichere Informationen zur Diagnose und Prävention von Gehirnerschütterungen speziell für HEMA findest du in diesem Artikel von Martin Höppner.

Was sollte ich tun, um schwere Kopftreffer zu vermeiden?

Wir können das Risiko eines Kopftraumas nicht allein durch Schutzausrüstung ausschließen. Wir müssen Kompromisse bei der Realitätsnähe unseres Trainings eingehen, um es sicher zu gestalten.

  1. Führe keinen Schlag aus, der das Gegenüber verletzen würde, wenn alles nach Plan verläuft
    • Fechten kann unvorhersehbar und chaotisch werden, aber dein Plan darf keine Verletzung deines Trainingspartners in Kauf nehmen
    • “Du hättest parieren sollen!” ist keine Ausrede
  2. Führe keine Schläge zum Kopf aus, mit der Absicht die Parade deines Gegners zu durchbrechen, um ihn trotzdem zu treffen
    • Wichtige Unterscheidung: Wenn dein Gegner pariert und du eine Schwäche in seiner Struktur bemerkst, die du durchbrechen kannst, darfst du diese Schwäche nutzen, um seine Parade kontrolliert zu durchbrechen, aber du darfst keinen Schlag gegen den Kopf ausführen, mit der Absicht, von vornherein jede Verteidigung mit Gewalt zu überwältigen; das wäre ein Verstoß gegen Regel (1) oben.
  3. Bremse Treffer zum Kopf ab, wenn du das kannst
    • Einen Schlag abzubremsen verschlechtert das Verwundungspotenzial eines Treffers – aber das ist in diesem Fall erwünscht!
    • Wenn du den Treffer andeuten kannst, ohne den Kopf tatsächlich zu treffen, mach das.
  4. Beurteile die Qualität eines Treffers anders
    • Trefferqualität ist nicht mit der Schwungkraft eines Hiebs gleichzusetzen!
    • Maßgeblich für die Qualität eines Treffers sollte vielmehr Folgendes sein:
      • Absichtlichkeit (Wurde der Treffer absichtlich oder zufällig ausgeführt?)
      • Klingenausrichtung (Ist die Schneide auf das Ziel ausgerichtet?)
      • Zurückgelegte Strecke (Hat sich das Schwert in einem weiten Bogen oder nur über eine kurze Strecke bewegt?)
      • Körperstruktur (Ist mein Körper so ausgerichtet, dass ich einen kräftigen Schlag untermauern könnte, oder muss ich meinen Körper verkrümmen, um die Schneide auf das Ziel zu legen?)
  5. Lieber eine Chance verpassen, als deinen Trainingspartner oder deine Trainingspartnerin zu verletzen
    • Oft sieht man eine Blöße und denkt: “Wenn ich mich schnell bewege, kann ich sie vielleicht noch rechtzeitig treffen!”, aber wenn man das tut, ohne die Folgen eines Erfolgs zu bedenken, verstößt man möglicherweise gegen Regel (1).

4 responses to “Hirnverletzungen”

  1. […] Eine deutsche Version dieses Beitrags findest du hier. […]

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  2. […] Eine deutsche Version dieses Beitrags findest du hier. […]

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  3. […] Hiebe so ausführen, dass wenn sie erfolgreich treffen, die getroffene Person unverletzt bleibt – vor allem wenn es um Hiebe zum Kopf geht […]

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  4. […] härteres Schwingen ist zwar ein effektives Mittel, um einen Hieb gefährlicher zu machen, aber ein härteres Schwingen gefährdet auch unsere Trainingspartner, und wir wollen gefährliches Fechten nicht fördern (siehe die 1. Frage im Bewertungsschema […]

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