Seit Anfang März haben wir uns im Fiore-Kurs auf das Thema “Kreuzungen” konzentriert. Das ist ein sehr weites Feld. Die Kernfragen, mit denen wir uns beschäftigt haben, sind folgende:
Zu lang, nicht gelesen:
Was ist eine Kreuzung?
Wenn sich die Waffen berühren, ist das eine Kreuzung
Warum sind Kreuzungen wichtig?
Alle erfolgreichen Deckungen (=Paraden) sind Kreuzungen
Wie man über Kreuzungen denkt, beeinflusst, wie man angreift
Was bedeutet es, “Vorteil” in der Kreuzung zu haben?
Es gibt drei solche Vorteile:
Stärke gegen Schwäche
Überbindung
Körperausrichtung
Was sind starke und schwache Kreuzungen und wie nutzt man diese?
Starke Kreuzung: Druck bringt die gegnerische Klinge zu deiner Schwertstärke; je mehr Druck, umso mehr Vorteil
Schwache Kreuzung: Druck bringt die gegnerische Klinge zu deiner Schwertspitze; je mehr Druck, umso weniger Vorteil
Starke Kreuzungen nutzen, um Kontrolle zu erlangen
Schwache Kreuzungen nutzen, um die Kontrollsuche des Gegenübers fehlzuleiten
In den folgenden Abschnitten gehe ich detaillierter auf diese Punkte ein.
Historische Hintergrundinfos
Die Kreuzung ist ein zentraler Gegenstand der Fechtlehre in verschieden historischen Fechtquellen. In der Einleitung zum Abschnitt über den Schwertkamp erlaubt Fiore dem Schwert sich vorzustellen:
Ich bin das Schwert und ich bin tödlich gegen jede Waffe; der Speer, die Axt und der Dolch sind wertlos gegen mich. Ich kann mich ausstrecken oder zurückziehen; wenn ich in die Nähe des Gegners komme, gehe ich in den Nahkampf über, führe Entwaffnungen und Ringtechniken aus. Meine Kunst ist es, zu brechen und zu binden; ich bin Experte in Deckungen und Schlägen, und ich bin immer bestrebt, meinen Deckungen mit Schlägen zu folgen. Trittst du gegen mich an, dann wirst du den Schmerz spüren. Ich bin königlich, sorge für Gerechtigkeit, verbreite das Gute und vernichte das Böse. Sieh mich als ein Kreuz an, und ich werde dir Ruhm und einen Namen in der Waffenkunst geben.
– Fiore de’i Liberi ca. 1404 (Getty-MS: Einführung für das Schwert in zwei Händen)
Abgesehen von der naheliegenden religiösen Konnotation kann sein letzter Satz auch wortwörtlich interpretiert werden. Fiore wird nämlich in den folgenden Abschnitten den Schwertkampf analysieren, indem er verschiedene Kreuzungen untersucht. Das Kreuz (= die Kreuzung) ist seiner Meinung nach von zentraler Bedeutung für das Fechten.
Drei Kreuzungen: (Von links nach rechts) der 1. Meister des weiten Spiels gekreuzt an der Schwertspitze, der 2. Meister des weiten Spiels gekreuzt an der Schwertmitte, der Meister des nahen Spiels gekreuzt an der Schwertmitte im Zhogo Stretto
Später in der Beschreibung einer Fechtstellung mit der Mordaxt schreibt Fiore sogar:
“Ich bin die Posta di vera Croce [Position des wahren Kreuzes], denn ich verteidige mich mit dem Kreuz. Die ganze Kunst des Fechtens und der Armizare [Fiores Name für seine Kampfkunst] zeichnet sich durch die Verteidigung mit dem Kreuz aus.”
Circa 70 Jahre später in den 1480er Jahren schreibt Philippo di Vadi (ein anderer italienischer Fechtmeister, dessen Fechtkunst offensichtliche Ähnlichkeiten zu Fiores Armizare aufweist) in seinem Werk:
“Die Kunst des Fechtens besteht einzig und allein in der Kreuzung, im Trennen von Hieb und Stich je nach Kontext, um denjenigen zu bekämpfen, der dir gegenübersteht. Wenn dein Gegenüber mit seinem Schwert zuschlägt, dann kreuze es mit deinem. Mach eine Deckung und greife dann sofort an, und in der Weite oder in der Nähe wirst du Stärke besiegen. Wenn du in deinem Spiel Kreuzungen verwendest, wirst du nie besiegt werden.”
– Philippo di Vadi, ca.1482-1487 De Arte Gladiatoria Dimicandi
Dass man nie besiegt wird, wenn man Kreuzungen verwendet, ist zwar übertrieben (oder trivial: wenn man getroffen wird, ist es einem offensichtlich nicht gelungen, das gegnerische Schwert zu kreuzen!), aber wenn man ficht, ohne zu bedenken, wie sich die Wege der Schwerthiebe kreuzen könnten, dann verliert man eins der sichersten Mittel zur Verteidigung.
Die Sicherheit, die eine Kreuzung bietet, ist allerdings flüchtig. In dem Morgan-Manuskript schreibt Fiore:
“Diese beiden Meister kreuzen sich hier an der Stärke des Schwertes. Und das, was der eine kann, kann der andere auch – das heißt, beide können alle Stücke [Techniken] des Schwertes machen, die sich aus dieser Kreuzung ergeben. Aber die Kreuzung hat drei Arten (d.h. von der Stärke des Schwertes bis zur Schwertspitze), und wer an der Schwertstärke gekreuzt ist, kann ein wenig aushalten, und wer in der Mitte des Schwertes gekreuzt ist, kann weniger aushalten, und wer an der Schwertspitze gekreuzt ist, kann überhaupt nichts aushalten. Das Schwert als solches hat also drei Wesensarten, nämlich ein wenig, weniger und nichts.“
Wenn Klingenkontakt entsteht (egal wie), ist das eine Kreuzung
Auch wenn die Stangen von Stangenwaffen oder die Arme von Unbewaffneten sich kreuzen, kann man das als Kreuzung bezeichnen
Wie ordnet Fiore Kreuzungen ein?
Fiore ordnet Kreuzungen nach folgenden Merkmalen ein:
Wo ist die Kreuzung?
An der Schwertspitze
An der Schwertmitte
An der Schwertstärke (nahe dem Griff)
In welcher taktischen Situation entsteht die Kreuzung?
Zhogo Largo (das weite Spiel): Eine Kampfsituation, in der man sicher einen Abzug machen kann
Zhogo Stretto (das nahe Spiel): Eine Kampfsituation, in der Sicherheit nach vorne liegt
Warum sind Kreuzungen wichtig?
Kreuzungen sind bei der Verteidigung sowie beim Angriff wichtig:
eine Kreuzung als defensive Aktion heißt Deckung (Coverta)
Deckungen (=Paraden) sind unentbehrlich, wenn man keine Zeit hat, sich durch ein anderes Mittel zu verteidigen
Deckungen können reine Abwehraktionen sein, können aber auch eine Chance sein, (flüchtig) Kontrolle über die gegnerische Waffe zu erlangen
eine Kreuzung als offensive Aktion ist ein Mittel, die Möglichkeiten des Gegners einzuschränken
Vorbereitende Aktionen an der gegnerischen Klinge sind ein Mittel, um sich einen Vorteil zu verschaffen, bevor man angreift, oder um eine Reaktion des Gegners zu provozieren
Egal ob man die Kreuzung sucht oder vermeidet, sind Kenntnisse über Kreuzungen wichtig:
Wenn man so angreift, dass eine Kreuzung wahrscheinlich ist, trifft man entweder, oder ist (erstmal) sicher, weil eine Kreuzung entsteht (und das ist ein Augenblick der Sicherheit, in dem man arbeiten kann)
Wenn man so angreift, dass eine Kreuzung unwahrscheinlich ist, darf man sich nicht auf eine Verteidigung durch Klingenarbeit verlassen; man muss sich einen anderen Vorteil verschafft haben, um sicher anzugreifen
Dass man eine Kreuzung sucht, wenn man eine Deckung macht, ist naheliegend. Dass Angriffe auch Kreuzungen suchen könnten, ist vielleicht weniger intuitiv: man will doch so angreifen, dass der Gegner nicht in der Lage ist zu parieren, oder? Nicht unbedingt. Wenn es für den Gegner umständlich oder unmöglich ist, eine Kreuzung zu machen, gilt das auch für dich. Wenn man so angreift, dass eine Kreuzung kaum möglich ist, und der Gegner in dem Moment auch angreift, ist ein Doppeltreffer vorprogrammiert. Diese Grafik und deren Erklärung aus dem Artikel “How not to Double” (“Wie man Doppeltreffer vermeidet“) von Stephen Cheney veranschaulicht diesen Sachverhalt:
Grün: weniger risikoreich; Gelb: risikoreich; Rot: risikoreicher
“When entering with a cut, be it as an attack or a counterattack, be aware of the plane that your cut is making in space. Cutting on a plane that will intersect your opponent’s most likely plane of attack is more likely to block out their attack if you are going for a counterattack, or if they attack unexpectedly. If you are attacking high and still doubling, observe the plane of your cuts and see if they are actually intersecting the opponent’s cuts, and if not, adjust them.”
“Wenn du mit einem Hieb angreifst, sei es als direkter Angriff oder Gegenangriff, denk an die Ebene, die dein Hieb im Raum bildet. Wenn du deinen Hieb in einer Ebene ausführst, die die wahrscheinlichste Angriffsebene deines Gegners schneidet, ist es wahrscheinlicher, dass du seinen Angriff blockierst, wenn du einen Gegenangriff machst, oder wenn er unerwartet angreift. Wenn du hohe Ziele angreifst, und immer noch viele Doppeltreffer hast, pass auf die Ebene von deinen Hieben auf und schau, ob diese tatsächlich die Hiebe des Gegners kreuzen, und – wenn nicht – passe dich an.” (Deutsche Übersetzung von mir)
Kreuzungen sind also – egal ob offensiv oder defensiv benutzt – ein Mittel um Kontrolle über die gegnerische Waffe zu erlangen. Wer die Kreuzung sucht, sucht Kontrolle und dadurch Sicherheit. Wer die Kreuzung vermeidet, will nicht kontrolliert werden und will die Kontrollsuche des Gegenübers fehlleiten.
Was bedeutet es, “Vorteil” in der Kreuzung zu haben?
Ein verwandtes Konzept, das von Fiore nicht explizit beschrieben wird, ist Vorteil in der Kreuzung. Es gibt drei Vorteile, die man in einer Kreuzung haben kann:
Stärke gegen Schwäche
Ein stärkerer Teil der eigenen Klinge bindet einen schwächeren Teil der gegnerischen Klinge
Man erlangt den maximalen Hebelwirkungsvorteil, wenn die gegnerische Schwertspitze an dem eigenen Kreuz liegt
Überbindung
Man hat eine Überbindung, wenn die eigene Klinge über der gegnerischen Klinge in der Kreuzung liegt
Die eigene Klinge ist über und auf der gegnerischen Klinge
Körperausrichtung unterstützt die Bindung
Der (ganze) Körper zeigt zur Kreuzung
Wenn man sich vorstellt, dass beide Arme, die das Schwert greifen, und die eigene Schultern ein Dreieck bilden, dann liegen (im Idealfall) Brustbein, Dreieckspitze und Kreuzung in der gleichen Linie.
Nicht alle Vorteile sind notwendig, um eine erfolgreiche Deckung oder einen erfolgreichen Angriff zu machen, aber – unter sonst gleichen Bedingungen – mehr Vorteile sind besser.
Starke und schwache Kreuzungen
Mit dem Vorteil-Begriff im Hinterkopf, kann man Kreuzungen weiter in starke und schwache Kreuzungen aufteilen. Das sind keine Begriffe, die Fiore benutzt, aber sie sind trotzdem nützlich, um übers Fechten zu sprechen.
eine starke Kreuzung lässt die gegnerische Klinge zum eigenen Kreuz gleiten, wenn Kraft in die Kreuzung hinein ausgeübt wird
eine schwache Kreuzung lässt die gegnerische Klinge zur eigenen Schwertspitze gleiten, wenn Kraft in die Kreuzung hinein ausgeübt wird
Unter sonst gleichen Bedingungen ziehen wir eine starke Kreuzung vor, aber manchmal ist eine schwache Kreuzung unvermeidbar oder sogar gewollt.
Der Fechter rechts macht eine starke Kreuzung: seine Vorteile vervielfachen sich, je mehr Druck er in die Kreuzung ausübt, er “gewinnt” die Kreuzung und trifft.
Um das in reiner “Fiore-Sprache” auszudrücken: ich würde diesen Fechtgang als ein Beispiel des 1. Schüler des 2. Largo-Meisters einordnen.
Der Fechter links sucht eine starke Kreuzung beim Angriff, aber der Fechter rechts erkennt den Angriff rechtzeitig und lässt sich auf die schwache Kreuzung ein, um den Angriff unschädlich abgleiten zu lassen und macht einen eigenen Hieb zur anderen Seite. Der Fechter links hat die Kreuzung “gewonnen”, aber den Treffer verloren.
Um das in reiner “Fiore-Sprache” auszudrücken: ich würde diesen Fechtgang als ein Beispiel des 5. Schüler des 2. Largo-Meisters (Colpo di Villano) einordnen.
“Mein Fechtlehrer hat mir gesagt, man sollte nie das Schwert angreifen”
Das hat man so zu verstehen, daß, wenn du im Zufechten zu ihm kommst, du stets mit einem Hieb oder Stich mutig und furchtlos diejenige der vier Blößen angreifen sollst, zu welcher du am besten gelangen kannst. Achte nicht darauf, was er tut oder ficht. Damit zwingst du ihn, zu versetzen. Sobald er versetzt hat, such in der Versatzung mit dem Winden an seinem Schwert die nächste Blöße. Ziel so immer auf die Blößen des Mannes und ficht nicht zum Schwert, wie es in dem Stück beschrieben ist, wo es heißt: »Lern, an vier Stellen anzusetzen und daran zu bleiben, wenn du ein Ende machen willst.«
Man muss zwischen folgenden ähnlichen Situationen unterscheiden, um differenziert auf die Anmerkung zu antworten:
“Das Schwert statt den Gegner angreifen”
“Das gegnerische Schwert mit dem eigenen so suchen, dass man dem Gegner eine gute Angriffsgelegenheit bietet”
“Das gegnerische Schwert vorsichtig mit dem eigenen suchen, als Zwischenstation bei einem Angriff zum Gegner selbst”
“Kontrolle über die Kreuzung durch ein selbstbewusstes Überbinden erlangen”
“Den Gegner so angreifen, dass man sein Schwert kreuzt”
“Einen Angriff abwehren, indem man einen Hieb zum gegnerischen Schwert macht”
“Einen Angriff abwehren, indem man einen Hieb zum Gegner macht, der gleichzeitig den gegnerischen Angriff kreuzt”
Alle Fälle könnten als “Angriff zum Schwert” bezeichnet werden, aber nur (1) und (2) sind immer schlecht. (6) ist unter Umständen suboptimal, weil (7) besser wäre, aber im Zweifelsfall ist (6) trotzdem besser als getroffen zu werden (vgl. Diskussion über Paraden unten). (4) ist ganz offensichtlich ein Hieb zum Schwert und wird sogar von dem selben Fechtmeister empfohlen, der oben zitiert wurde!
Schlag den Krumphau zu den Flächen, wenn du die Meister schwächen willst. Wenn es oben klirrt, laß ab. Das will ich loben. Dieses Stück sollst du gegen die Meister aus dem Band des Schwertes heraus anwenden. Mach es folgendermaßen: Wenn du im Zufechten zu ihm kommst, begib dich in die rechte Schrankhut und steh mit dem linken Fuß vor, oder halt dein Schwert an der rechten Schulter. Schlägt er dir dann zur Blöße, schlag kräftig mit der langen Schneide mit gekreuzten Armen gegen seinen Hieb. Sobald die Schwerter zusammenklirren, winde »indes« zu deiner linken Seite die kurze Schneide an sein Schwert und stich ihm zum Gesicht. Wenn du nicht stechen willst, schlag ihm »indes« mit der kurzen Schneide vom Schwert zum Kopf oder zum Körper.
Interessanterweise weist dieses Stück aus der Liechtenauer’schen Schule viele Ähnlichkeiten mit Fiores Rompere di Punta (Stoßbruch) auf:
Dies ist eine weitere Möglichkeit, sich gegen einen Stich zu verteidigen. Wie ich schon beim ‘Stoßtausch’ gesagt habe, musst du einen Schritt und dann einen Passierschritt aus der Linie heraus machen. Mach das Gleiche bei diesem Stück, außer dass beim ‘Stoßtausch’ die Hände niedrig und die Spitze hoch sind, wie ich bereits gesagt habe. In diesem Stück, das ‘Stoßbruch’ heißt, hält der Schüler seine Arme hoch, macht einen Hieb von oben, während er einen Schritt und einen Passierschritt aus der Linie macht. Er trifft die gegnerische Klinge seitlich, fast in der Mitte der Klinge, um sie auf den Boden zu schlagen, und geht sofort in das nahe Spiel über. …
Sobald ich das getan habe, schlage ich ihm unter dem Bart mit der kurzen Schneide in den Hals und mache sofort von oben einen Schlag auf seine Arme oder Hände.
– Fiore de’i Liberi ca. 1404 (Getty-MS: 11. und 12. Schüler des 2. Largo-Meisters)
“Mein Fechtlehrer hat mir gesagt, Paraden sind schlecht”
Paraden (auch Deckungen, Versetzungen, usw. genannt) sind ein Kernverteidigungsmittel in praktisch jeder Fechtkunst.
Es gibt zwei Möglichkeiten, ohne Paraden erfolgreich zu fechten:
Man schützt sich mit etwas anderem – sei es ein Schild, eine Rüstung oder das Regelwerk, nach dem man ficht
Man ficht nie gegen jemanden, der genauso gut oder besser ficht als man selbst
Über die Jahrhunderte hinweg haben Fechtmeister allerdings bemerkt, dass der Instinkt vieler angegriffenen Menschen ist, immer breitere Abwehraktionen zu machen, die dem Angreifenden immer größere Blößen anbieten. Das ist natürlich schlecht, und sollte abgewöhnt werden.
Die nächste Stufe der Fechttheorie besagt, dass reine Abwehraktionen grundsätzlich suboptimal seien, weil es besser sei, Abwehr und Angriff in einer Aktion zu kombinieren. Theoretisch stimmt das. Praktisch ist es sehr schwierig (und entsprechend riskanter), auf einen guten Angriff mit einem Gegenangriff zu antworten. Der französische Fechter Baron de Bazancourt lehnt solche Gegenangriffe vehement ab:
Bevor ich fortfahre, möchte ich etwas erklären. Es gibt einen Unterschied zwischen Stoppstößen und Zeitstößen. Der Stoppstoß wird ausgeführt, wenn der Gegner unvorsichtig vorrückt, oder wenn er seinen Arm zurückzieht, während er einen komplizierten Angriff ausführt, wenn er also eine Bewegung macht, die ihn ungeschützt lässt. Der Zeitstoß hingegen ist die gefährlichste aller Paraden, denn wenn sie misslingt, ist man absolut ungeschützt und der Gnade des Gegners ausgeliefert. Ich habe gesehen, wie [der Zeitstoß] von jedem Meister in der Lehrstunde unterrichtet wurde (zweifellos als Übung), aber ich habe kaum jemals einen Meister gesehen, der diesen beim eigentlichen Fechten in die Praxis umgesetzt hat. Der [Zeit-]Stoß hat nichts was für ihn spricht, sondern ist im Gegenteil aus vielen Gründen zu verurteilen. Ich würde ihn gerne schändlich aus dem Fechtsaal vertrieben sehen, so wie die Käufer und Verkäufer aus dem Tempel vertrieben wurden.
Verstehen Sie die Unterscheidung? Ein Zeitstoß wird in der letzten Bewegung eines Angriffs ausgeführt, wenn man glaubt, genau zu wissen, was kommt, und mit Sicherheit einschätzen kann, in welcher Linie die gegnerische Spitze stoßen wird. Nun gut, dann parieren Sie, statt zu kontern; denn wenn Sie sich irren – und wer tut das nicht manchmal? -, können Sie auf jeden Fall auf eine andere Parade zurückgreifen. Der Zeitstoß hingegen, wenn er falsch eingeschätzt wird, führt zu einem gegenseitigen Treffer, und das beweist schon, wie viel unedles Metall man in Umlauf bringt. Der Stoppstoß, der, wie gesagt, beim Vordringen des Gegners ausgeführt wird, ist weniger gefährlich.
Man muss also zwischen folgenden ähnlichen Situationen unterscheiden, um differenziert auf die Anmerkung zu antworten:
“Einen Angriff mit seinem Schwert abwehren, und dabei dem Gegner eine große Blöße anbieten”
“Einen Angriff mit seinem Schwert abwehren, ohne sich einen Vorteil zu verschaffen”
“Einen Angriff mit seinem Schwert abwehren, und sich dabei einen Vorteil verschaffen, damit ein Folgeangriff leichter ist”
(1) ist tatsächlich schlecht, und sollte vermieden werden, ist allerdings besser als getroffen zu werden. (2) ist suboptimal, aber besser als getroffen zu werden. (3) ist die Definition einer guten Parade.
Theoretisch ist “keine Parade” die beste Parade. Praktisch sollte man trotzdem Paraden üben.
Abschließende Worte
Kreuzungen sind wichtig. Egal ob offensiv oder defensiv benutzt, sind Kreuzungen ein Mittel um Kontrolle über die gegnerische Waffe zu erlangen.
Wer die Kreuzung sucht, sucht Kontrolle und dadurch Sicherheit.
Wer die Kreuzung vermeidet, will nicht kontrolliert werden und will die Kontrollsuche des Gegenübers fehlleiten.
Wenn man so angreift, dass eine Kreuzung kaum möglich ist, und der Gegner in dem Moment auch angreift, ist ein Doppeltreffer vorprogrammiert.
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